Musik und Inszenierung
Die Musik von Thüring Bräm
Schumanns Lied der Maria Stuart Ich zieh’ dahin, dahin! Ade, mein glücklich Frankenland steht am Anfang der Kammeroper. Aloïse kannte dieses Lied, das für sie 'die Welt von früher' verkörperte.
Die andern beiden Ausgangspunkte für die musikalische Gestaltung sind die Erinnerungen der jungen Opernstudentin an die Oper 'Maria Stuarda' von Donizetti, die von einer Phase religiöser Obsession in der Gestalt des Waadtländer Freiheitskämpfers Major Davel verkörpert wird. Man erhält eine Vorahnung der inneren Wirrnisse der Protagonistin. Das Klima ändert sich zu Furcht und Angstzuständen durch die Versorgung in einem Asyl, deren Folge zu einer Art Autismus, zum Verlust der Sprache führt. Schliesslich findet Aloïse ihre innere 'Befriedung' durch eine eigene musikalische Sprache (parallel zur Farbe Rot, die sie so liebt und in ihren Malereien verwendet).
Der Weg aus der 'früheren Welt' ('le monde d’autrefois') bringt uns über eine Periode des 'Mümmelns' (marmoter) in ein anderes mentales Universum, das in ihremBild der 'Sonate hinter dem Mond' ('la sonate derrière la lune') ihren Ausdruck findet.
Die verwendeten Instrumente erlauben eine Vielfalt von Farben und eine Ausdruckspalette, welche die Malerei widerspiegelt. Die alten traditionellen Kombinationsmuster, die Muster der Welt von vorher, werden aufgelöst. Am Ende erscheint eine neue Welt, IHRE Welt in neuer Form, aufgebaut aus den Überresten einer Welt in voller Dekonstruktion. Der Maler Dubuffet beschreibt diesen Zustand in einem Brief an die grosse Verwalterin und Interpretin des Werkes von Aloïse Corbaz, Jacqueline Porret-Forel, in dem er sagt: Sie hatte den Plan des Unzusammenhängenden entdeckt. (Elle avait découvert le plan de l’incohérent.) Auch die Musik versucht, diesen zu finden.
Thüring Bräm, Komponist
www.braem-boyes.ch
Hinweise auf die Bühnenrealisation durch Pierre-André Gamba
Sobald ich das Universum der Aloise Corbaz entdeckt hatte, hat sich meiner das Bedürfnis bemächtigt, ihre Geschichte auf der Bühne umzusetzen.
"Aloise: c’est beau le rouge vous savez" ist nicht einfach das Porträt einer Frau, die ihren Bezugspunkt am Anfang des 20. Jahrhunderts verloren hat, das ist das Porträt einer Zerbrechlichkeit und einer Feinfühligkeit, die in einer Parallelwelt schwebt, einer Welt die wir wieder finden, wieder er-finden möchten, eine Welt voller Vibrationen, Schwingungen, Farben und Klängen.
Für mich ist das ausserordentliche Leben dieser Frau, die sich die Malerei zur Stimme gemacht hat, eine unglaubliche Geschichte, die sich umsetzen lassen will, eine Erfahrung, von der jede Schauspielerin, jede Opernsängerin nur träumen kann, sie einmal in ihrer Karriere umsetzen zu können, eine Erfahrung, die die Interpretin mit ihrem eigenen Doppelpart konfrontiert.
Eigentlich gibt es im Leben von Aloise nichts zu lachen, dennoch versuche ich mit einem gewissen Feingefühl, mit Intelligenz und Humor ihre Situation anzugehen, denn Aloise Corbaz war keine traurige Person. Sie stand im Zentrum eines eigenen Universums, dessen Logik für uns schwer zugänglich ist.
Ich versuche in meiner Inszenierung die Kühnheit, den Humor, die erstaunlichen Zwischengeräusche die in ihr wohnten und die sie uns in ihrer Malerei mitgeteilt hat, wiederzufinden.
Tragische Situationen, die von theatralisch humorvollen Passagen abgelöst werden, bestimmen die Inszenierung der Kammeroper, deren Unterschwelligkeit ausserordentlich dramatisch ist, deren Form aber auf dem Theater distanziert erscheint.
Pierre-André Gamba, Dramaturgie und Inszenierung
www.LesLimbesDuPacifique.ch
Thüring Bräm
Thüring Bräm wurde in Basel geboren. Er dirigiert regelmässig in der Schweiz und im Ausland (Deutschland, Spanien, Tschechien, Buenos Aires, Krakau, Gdansk). Er gab Meisterkurse in Orchesterdirektion in Teplice (Tschechien), Kosice (Slowakei) und Buenos Aires (Argentinien).
Von 1987 bis 2006 leitete er die Dirigierklasse an der Musikhochschule in Luzern, wo er Gründer der 'Jungen Philharmonie Zentralschweiz' und während 19 Jahre Chefdirigent war. Von 1976 bis 2009 leitete er den konzertierenden 'Regio-Chor Binningen/Basel'.
Mehr als Hundert Kompositionen aller Gattungen – Kammermusik, Orchesterwerke, Oratorium, Oper – geben dem Komponisten Bräm ein präsentes Profil im nationalen und internationalen Musikleben (Aufführungen u.a. in Leipzig, New York, Paris, Rom, Siena, Warschau, Washington DC. usw). So war er auch Composer-in-residence am Hokuto Festival in Japan 2006 und hatte Retrospektiven u.a in Moskau und Krakau.
Er ist Träger des Edwin Fischer-Gedenkpreises und erhielt 2005 den Kunst- und Kulturpreis der Stadt Luzern.
Pierre-André Gamba (Dramaturgie und Inszenierung)
Regisseur, Schauspieler, Autor, Librettist und Hochschullehrer – hat seine Studien am Conservatoire de Genève abgeschlossen.
Als Schauspieler hat er in über fünfzig Produktionen in der Schweiz, in Frankreich, in Belgien und in Deutschland teilgenommen unter Regisseuren wie Matthias Langhoff, Claude Stratz, Jérôme Savary, André Steiger, Martine Paschoud u.a. Seit 1988 unterrichtet er im Bereich Theater regelmässig an den Konservatorien der welschen Schweiz.
Aus dieser Zeit stammen auch seine ersten Inszenierungen: Von Jean Racine bis Michel Deutsch interessiert er sich für alle Stile des Theaters. Seit 1993 schreibt er mehrere Textbücher und inszeniert Opern. Seit 1998 arbeitet er mit dem Grand-Théâtre de Genève zusammen. 2001 gründet er in Genf eine Opernwerkstatt ("Gioco vocale") für junge Opernsängerinnen und –sänger. 2002 erhält er zusammen mit dem Komponisten Nicola Bolens den 1. Preis im Wettbewerb der Kantonalbank des Kantons Neuchâtel für ein Werk für musikalisches Theater ("La vigie"). Seit 2007 unterrichtet er Bühneninterpretation für junge OpernsängerInnen an der Musikhochschule in Genf.